Lärm & Ruhe

Der Walkmaneffekt


Welchen Einfluss haben portable Musikabspielgeräte auf unser Verhalten in der Gesellschaft?
Nicht nur über die Gehörgefährdung durch portable Musikabspielgeräte wird diskutiert sondern auch ihr Einfluss auf unser Sozialverhalten und die Gesellschaft.

Der Kopfhörer schafft neue Möglichkeiten im urbanen Raum. Eine davon ist die Silent Party. Dies ist ein Partykonzept bei dem jeder die Musik über einen eigenen Kopfhörer hört. Diese ermöglicht das Feiern in der ganzen Stadt.
Der Japanische Sozialwissenschaftler Shuhei Hosokawa veröffentlichte 1984, fünf Jahre nachdem Sony den ersten Walkman auf den Markt brachte, eine Studie mit dem Namen "Der Walkmaneffekt". Darin beschreibt er die Charakteristika der mobilen Musikwahrnehmung. Sowohl Hosokawa als auch andere Autoren bringen den portablen Musikplayer immer mit dem urbanen Leben in Verbindung, Hosokawa bezeichnet den Walkman gar als "urbane Strategie". Denn der Walkman wird oft als Reaktion auf die veränderte Akustik, die akustische Umweltverschmutzung oder ganz einfach ausgedrückt, gegen den Lärm im städtischen Raum, gesehen. Die "Strategie Walkman" besteht nun darin, den städtischen Lärm – klassischer Strassenlärm, aber auch die Dauerbeschallung durch omnipräsente Hintergrundmusik – durch eigene Musik in den Hintergrund zu drängen und auszublenden.

Der städtische Klangraum ist äusserst dynamisch. Brunnen, sind in der Regel die einzigen stabilen Klangquellen. Will man die städtischen Klänge erkunden, sollte man sich deshalb an ihnen orientieren. Wie das gehen könnte, beschreibt Andres Bosshard im Buch: "Stadt hören. Klangspaziergänge durch Zürich."
Dies beinhaltet auch eine soziale Komponente. Denn neben mechanischem Lärm, wird natürlich auch "Lärm" von Mitmenschen ausgeblendet. Mit dem Walkman begibt man sich bewusst in eine akustische Isolation. Gerade in überfüllten Zügen kann der Rückzug in eine eigene akustische Welt über die Kopfhörer durchaus erholsam sein. Inmitten des öffentlichen Raumes kann man sich so seinen ganz eigenen akustischen Rückzugsort schaffen. Kritisiert an einem solchen Ausblenden der Umwelt wird insbesondere, die damit verbundene Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Wer seine Umwelt ausblenden kann, muss sie nicht mehr aktiv gestalten und verbessern.

Die Auswirkungen des Walkman wurden auch im Film thematisiert. Im Film "Lüzzas Walkman" (1989) von Christian Stocher fährt der Bergbauernsohn Lüzza nach Zürich, um seine schrillen Walkman-Träume in der Stadt auszuleben. Die Realität unterscheidet sich aber von seinen Vorstellungen und er kehrt desillusioniert wieder in die Bündner Berge zurück.
Neben solchen kulturpessimistischen Tönen, existieren aber auch andere Stimmen. Diese begreifen den Walkman als Wahrnehmungsmaschine und betonen die neuen Möglichkeiten, die der portable Musikplayer bietet. Insbesondere die Raumspaltung in eine akustische und eine optische Ebene, bietet sowohl in der Kunst aber auch gesellschaftlich, viele Möglichkeiten. "Leben mit Soundtrack" bedeutet, eigene Emotionen und Situationen bewusster steuern zu können und das eigene Leben gewissermassen wie ein Regisseur gestalten zu können. Dem Individuum wird damit ein Stück Autonomie zurückgegeben, indem es sich den fremdbestimmten Klanglandschaften entziehen kann. Zudem kann es sein, dass der akustische Raum umso bewusster wahrgenommen wird, je unabhängiger er vom optischen ist. Dies zeigt das folgende Video:

Verkehrslärm vs. Gezwitscher (Youtube)